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(Politische) Erinnerungen aus der Jugend - von Valentin Tascu [valentintascu ] (1944 – 2008) - Folge 15
proză [ ]
Studentensitzungen (1962 – 1966)
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de [Delagiarmata ]

2010-01-23  | [Acest text ar trebui citit în deutsch]  

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Wir dienten nicht sonderlich; es war eine Zeit, in der die U.T.M.* - Ceauşescu war noch nicht da, um sie in U.T.C.* umzutaufen – sich nicht in übertriebener Weise um die Söhne der Volksfeinde, Intellektuelle und andere derartige minderwertige Kategorien, die noch brav in den Gefängnissen saßen, kümmerte. Hingegen bemühte sie sich mehr darum, wie es dem Nachwuchs der Arbeiterklasse und der Arbeiterbauern besser gehen könnte und wie man die Sprösslinge belügt, damit sie wirklich glauben, die Spitze der „neuen“ Gesellschaft zu sein. Auf jeden Fall hatten wir, also die Tolerierten, keinen Zugang zu der Leitung der Jugendorganisation, so dass wir ziemlich in Ruhe gelassen wurden. Und es störte die „zuverlässigen“ Jugendlichen auch nicht, dass wir nicht allzu häufig zu den Sitzungen kamen, nicht einmal zu denen der Studentenorganisationen, damals noch nicht „kommunistisch“ genannt – dem „Erschossene“ von Târgovişte war auch diese Nuance zu verdanken. Persönlich war ich vom Status des „Volksfeindes“ befreit, den ich 1961 in Alba Iulia erlangt hatte, denn meine Richter fürchteten das Telefonat von Trofin* und „entsorgten“ alle Dokumente. Sie haben auch nichts an die Philologiefakultät weitergeleitet und ich brachte nicht den Mut auf, jemand meine Geschichte zu erzählen. Also war meine Studentenzeit ziemlich apolitisch und ich kann heute kaum drei Episoden herausheben.

* * *

Eine Sitzung zur Verurteilung der Studenten mit schwächeren Lernergebnissen, unglaublich, mit so etwas befasste sich die U.T.M., mit Nachzüglern, Sitzenbleibern usw. Ich erinnere mich an einen ansehnlichen Kollegen mit Filmallüren und gekleidet wie Alain Delon. Hübsch, wie er war, und mehr dem Feiern und galanten Abenteuern zugetan, wie eben Delon, fehlte er schon mal bei den Kursen. Die Anwesenheit wurde streng von einigen weniger hübschen Kolleginnen überprüft. Er fiel auch schon mal bei der einen oder anderen Prüfung durch; das Leben war eben schwer, was soll’s. Nachprüfungen wurden etwa vier gewährt. Die letzte wurde vom Rektor genehmigt, Constantin Daicoviciu*, Raluca Ripan zu meiner Zeit. Aber wenigstens der große Historiker gestand dir die vierte Prüfung mit einem sehr unakademischen Fluch zu, mit dem er dich in sehr bodenständiger Manier zurück zu deinem Ursprung schickte, um dir nach Alexandru Paleologu* „eine zweite, vorteilhaftere Geburt“ zu ermöglichen. Aber einer wie er – wie mag er nur geheißen haben? Er war ein großer, schlanker Blonder mit feiner Sprache – fiel systematisch durch, weil die Prüfungsanforderungen damals funktionierten, nicht wie heute mit Bestechungen. Die „ernsten“ Arbeitersöhne, die sich mit Noten um 5 und 6 herumschlugen, aber sich in Sitzungen bewährten, haben ihn in die Mangel genommen. Uns eingedrungene Intellektuellensöhne, die mit Leichtigkeit zu 9er und 10er kamen, riefen sie express, aber nur als Lückenbüßer, war die Anwesenheit bei solchen Anlässen doch sowieso „obligatorisch“. Freilich waren diese Fälle für uns ziemlich beschämend, aber die Betroffenen scherten sich gar nicht darum. Zumindest der „Schönling“, erinnere ich mich, antwortete bei jeder Befragung nach dem gleichen effizienten Schema der konstruktiven Autokritik, wo es da hieß, dass „er alle nötigen Maßnahmen ergreifen werde, um seine Nachprüfungen in optimalen Konditionen zu absolvieren“. Er wiederholte diesen in die Landschaft passenden Satz immer wieder, ohne ihn jemals zu respektieren. Ich glaube er wusste gar nicht so recht, was er genau bedeutete. Die jungen Genossen waren von seiner „Haltung“ aber angetan und lächelten wohlwollend. Zum Schluss, glaube ich, ist der Betreffende doch durchgefallen, und hat die Schule unter „optimalen Bedingungen“ verlassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er eine gute Partie gemacht hat und in den Westen abgehauen ist. Der Exodus hatte langsam begonnen. Sonst große Langeweile.

Im Sommer zwischen dem ersten und zweiten Studienjahr erfreute ich mich dank meiner Tätigkeit als „Schlagersänger“ eines wunderschönen, zwölftägigen Aufenthalts zusammen mit meinen Kommilitonen aus der Universitätstruppe in einem Studentenlager in Sinaia. Wir waren im jetzigen Hotel „Caraiman“ untergebracht, also unter guten, der Kollege von vorhin würde sagen, unter „optimalen“ Bedingungen. Wir spielten den Tischgenossen zwar auf, aber meistens wurde auf die Musik von Plattenspielern und Magnetophonen getanzt, und das wie verrückt, denn die Zeit des wütigen Rock ’n’ Roll und Elvis Presleys war angebrochen. Aus Untätigkeit verliebte ich mich saisonüblich in eine fabelhafte und fleischige Blonde mit Locken aus Bukarest, Elitetänzerin mit gut gebogenen Hüften und ausgeprägten Reizen.
Um es mit Ion Barbu* zu sagen: „Ich war damals viel zu dumm“, hatte kaum mehr als 18 Jahre und litt unter einer krankhaften Schüchternheit. Ich war auch sehr dünn, wog kaum 56 kg bei einer Länge von 174 cm und schämte mich, in den Spiegel zu schauen. Aber mein junges Herz nahm darauf keine Rücksicht und erbebte bei jedem Anblick der jungen Bukaresterin. Sie hatte eine engelhafte Ausstrahlung mit ihren goldenen Zöpfen, als wäre sie aus einem Heiligenbild herabgestiegen. Coşbucs* Rede: „Stell sie als Ikone auf den Altar / zum Küssen!“ Ganze sechs Tage der ersten Woche machte ich mir Mut, um mich ihr zu nähern. Und die Gelegenheit bot sich beim Tanz. Damals tanzte man noch paarweise, nicht wie heute im Hora* oder auf einem Haufen. Also ich machte ihr - ich erinnere mich, es war ein Samstag -, mit schlotternden Beinen meine Schüchternheit überwindend, eine Einladung zum Tanz. Sie betrachtete mich wie einen Idioten, nahm aber an, weil es sich so gehörte. Ich spürte, dass sie sich bei meinen völlig harmlosen, völlig „unmännlichen“ Berührungen schnell langweilte, besonders da ich aus meinem mit Lustspeichel gefüllten Mund keinen einzigen Ton hervorbrachte. Die wenigen Minuten berauschte ich mich aber von ihrem wahrhaft weiblichen Parfüm, das mir immer noch engelgleich vorkam, und entfernte mich von ihr mit einer Genugtuung, würdig eines konsistenteren Effekts. Wie auch immer, in jener Nacht schlief ich kaum ein. Ihre Ikone geisterte durch mein Gedächtnis und natürlich begann ich, mir dauernd auszumalen, was passieren hätte müssen.

Beim Frühstück informierten uns einige U.T.M.-Genossen – die Jugendorganisation schlief auch in den Ferien nicht -, dass wir am Mittag in der „Viereckaufstellung“ eine sehr wichtige Sitzung haben werden zum Verurteilen einiger verwerflicher, mit den Qualitäten eines jungen U.T.Misten unvereinbarer Vorfälle. Man hatte etwas von der Unverfrorenheit einiger Mädchen gehört, die sich mit afrikanischen Studenten eingelassen hätten und nachts bei einer Kontrolle in den verführerischen Betten der Gebräunten aufgefunden worden wären. Die Angelegenheit war spannend, denn so etwas kam selten vor, war doch die „proletarische Moral“ in jener Zeit noch ziemlich streng und es herrschte der gute Brauch, dass man einem Mädchen einige Wochen lang den „Hof“ machte, um sie zu erobern, nicht wie heute fünf Minuten.

Das „Karree“ formierte sich. In ihm hissten wir jeden Morgen die Fahne des Volksvaterlandes, sangen die Hymne, jene vor „Drei Farben kenn ich auf der Welt“, und abends machten wir es umgekehrt. Nach einer gut einkalkulierten Suspension traten drei Genossen mit einer sehr bedeutungsschweren und moralisierenden Mine, düster dreinblickend, so als ob ein Verbrechen oder wenigstens ein spektakulärer Selbstmord begangen worden wäre, in die Mitte. Einer von ihnen zog einen Zettel aus der Tasche und las eine „rein politische“ Vorrede über die „neue“ Studentenschaft, die „neue“ Moral und andere derartige Neuigkeiten. Die Wörter reihten sich immer drohender aneinander: „Und unter diesen Umständen, Genossen, erlauben sich einige ..., und sie ..., und sie. Schaut her, einige Weibspersonen, denn Genossinnen können wir sie nicht nennen, haben sich erdreist, unser kommunistisches Studentenstatut zu besudeln. Sie wurden in den Zimmern der Genossen aus Afrika in eindeutig kompromittierenden Situationen ertappt, ausgezogen ...“ Demzufolge wurden sie aus dem Ferienlager ausgeschlossen und der Exmatrikulierungsbeschluss an die Fakultäten, die sie zur Schande gemacht haben, geschickt. Drei Mädchen wurden dem Publikum zur Schau gestellt und der öffentlichen Schmach preisgegeben. Über die Schwarzen nur Gutes, sie hatten keine Schuld. Die zwei ersten haben mich nicht beeindruckt. Sie waren auch ziemlich hässlich und ich habe ihnen ihre Hingabe für die Neger gegönnt, wegen dem fehlenden Interesse der „Weißen“. Beim Erklingen des dritten Namens fror ich ein: Wie ein verschmierter Lappen wurde gerade das Mädchen, mein appetitlicher Engel, von dem ich träumte, während er mit anderen ..., in die Zirkusmitte geworfen. Eminescus Wort: „Was stört es dich, Tongesicht / ich liebe dich, während ein anderer dich .....“ – ein unausweichlicher und logischer Reim, von Strolchen, die immerhin etwas von unserem Nationalpoeten gelesen haben, erfunden.

Grausames kommunistisches Urteil! Ich konnte nicht feststellen, ob das Mädchen sich schämte; eher nicht, forderte sie doch die ganze Assistenz mit ihren wippenden Hüften heraus und schritt von dannen. Wer weiß, in welchem Italien sie gelandet ist.

* * *

Am 19. März 1965 ist Gheorghe Gheorghiu-Dej gestorben, eigentlich sagte man euphemistisch „aus dem Leben geschieden“. Die Wahrheit ist, dass man in seinen letzten Jahren ziemlich gemütlich leben konnte. Es wurde nichts erwähnt von dem Sterben in den Gefängnissen, dem revolutionären Terror, von Übergriffen etc. Ich wusste noch etwas über den Kanal, wie ich schon erzählte, aber die Erinnerungen hatten den Zauber der Kindheit und erschienen nicht tragisch. Nicht dass ich den Staatschef bewunderte, aber ich empfand eine gewisse Achtung für ihn, besonders da es ihm gelang die russischen Besatzungstruppen aus dem Land zu bekommen. Er soll Chruschtschow mit ausreichend Alkohol während einer Jagd in Bistriþa-Nãsãud dazu bewogen haben. 1962 und dann endgültig im Jahre 1964 hat er die politischen Häftlinge entlassen. Ebenfalls 1964 hat er einen gewagten Schwenk weg von der „rumänisch-sowjetischen Freundschaft“ vollzogen. Man sagt, dass soll zu seinem frühen Tod geführt haben. Kolportiert wurde auch eine radioaktive Verseuchung, der er angeblich in Polen ausgesetzt war.

Riesen Trauer, Zeitungen wie Leintücher, mit fingerdicken, schwarzen Einfassungen, unheimliche Bilder vom im Saal des Palastes ausgestellten Sarg, passende Musik am Radio – damals lernte ich Chopins Trauermarsch schätzen -, Würdigungssendungen und vom Fernseher gezeigte Nachrufe etc. Alle waren verkrampft, wie beim Tode Stalins, als ob das Ende des Planeten da wäre. Genau eine Woche vorher war der große, wirklich unersetzliche George Cãlinescu* verstorben. Man schenkte ihm eine gewisse Aufmerksamkeit, aber bei weitem nicht in dem Maße wie dem Führer der Rumänischen Arbeiterpartei.

Der Tag der Beisetzung war gekommen, aber die Leute fragten sich mehr, wer wohl die Stelle des Verstorbenen einnehmen wird. Es zirkulierten einige Namen: Ion Gheorghe-Maurer, Gheorghe Apostol, Alexandru Bârlădeanu, Emil Bodnăraş. Aber wie bei Stalins Tod wurde das Geheimnis streng gehütet, bis alle Fäden gezogen waren. Man wartete auf die Trauerreden am Mausoleum im „Freiheitspark“, davor und heute „Carol I“. Beeindruckend war der im Trauermarschrhythmus die Treppen des Mausoleums hochsteigende Trauerzug. Es wurden einige Reden gehalten. Die wichtigste kam aber zum Schluss. Und es trat ein Kleiner mit schwarzem, gelocktem Haar und Militärschnitt vor. Er zog ein Blatt Papier aus einer Manteltasche und begann mühselig und ziemlich verdreht einige „Holzworte“ zu buchstabieren. Er schien Lampenfieber zu haben, aber er war eigentlich von einer Tatsache belastet, die er schon kannte; und zwar, dass er die Stelle des Verstorbenen einnehmen sollte. Erst dann wurde uns bewusst – wir verfolgten alles an einem öffentlichen Bildschirm, denn zu Hause hatten wir noch kein TV-Gerät, - dass dieses Individuum Mitglied der letzten Ehrenwache war und wie bei den letzten Sargträgern die Position vorne links, zur Rechten des Toten, einnahm, nach den protokollarischen Usanzen reserviert für den höchsten Würdenträger.

Ich zuckte zusammen, nicht vor Schmerz, noch vor Aufregung, sondern vor der Wirklichkeit, dass der Typ, der Staatschef werden sollte, obwohl er las, Ausdrucks- und Grammatikfehler machte. Einige Tage danach habe ich dieses Problem auch angesprochen, aber einige haben versucht mich zu überzeugen, dass er Redeschwierigkeiten hatte, weil er in Târgu-Jiu im Gefängnis gefoltert wurde. Man habe ihm die Zunge durchstochen. Später sollte ich erfahren, dass davon keine Rede sein könne; im Gegenteil, die Kommunisten erfreuten sich eines Spezialregimes. Anders gesehen, war das wohl die erste Desinformation, diese Person betreffend, die von der Securitate in Umlauf gebracht wurde. Ich konnte ihn von Beginn an nicht ausstehen, denn als Philologiestudent waren mir die Grammatikverstümmler ein Grauen, wie ich sie auch heute nicht leiden kann, obzwar sie immer mehr werden und immer höher positioniert oder reicher sind. Und ich wusste auch, dass Grammatik ein Intelligenzeffekt ist und dieser Mensch erschien mir von Beginn an als dumm und keineswegs intelligent, wie mich 1975 der große Prosaautor Augustin Buzura bei einer Gelegenheit in einem Zug nach Piatra Neamþ überzeugen wollte. Von seiner Bauernschläue überzeugte mich allerdings der bedeutende Regisseur Vlad Mugur ebenfalls in einem Zug, von Bukarest kommend. Niedergeschlagen befand er sich auf der Rückreise von dem Julitreffen 1971 in Mangalia*. Er sollte dann auch bald das Land verlassen. Mugur verstand es also, einen Text zu interpretieren, während Buzura sich als Psychiater an die Teste hielt. Ich war zu der Zeit Student der Grammatik, unerbittlich gegenüber allen, die ein Komma zwischen Haupt- und Tätigkeitswort setzten. Im Geheimen, aber manchmal auch öffentlich – sehe meine Aufzeichnungen im Weißbuch der Securitate nahm ich mein Schicksal eines „Volksfeindes“ voller Vertrauen in die eigenen Hände, wie auch jenes eines Unfreundes des armseligen, an die Spitze unserer bedauernswerten (und benebelten) Nation gelangten Schusters.


Anmerkungen*:
- U.T.M. (Uniunea Tineretului Muncitor) = Union der Arbeiterjugend
- U.T.C. (Uniunea Tineretului Comunist = Union der Kommunistischen Jugend)
- Virgil Trofin (1926 – 1984) = rum Politiker, von 1956 bis 1964 Erster Sekretär des Zentralkomitees der U.T.M.
- Constantin Daicoviciu (1898 – 1973) = rumänischer Historiker und Archeologe
- Alexandru Paleologu (1919 – 2005) = rumänischer Schriftsteller, Essayist, Literaturkritiker, Diplomat und Politiker
- Ion Barbu (1895 - 1961) = bürgerliche Name: Dan Barbilian; rumänischer Mathematiker und Dichter
- George Coşbuc (1866 - 1918) = rum. Dichter
- Hora = rum. Gemeinschaftstanz
- George Călinescu (1899 - 1965) = rum. Kritiker und Literaturhistoriker, Schriftsteller, Publizist, Akademiemitglied
- Julitreffen 1971 in Mangalia = gemeint ist ein Treffen rumänischer Schriftsteller mit Nicolae Ceauşescu im „Haus des Schriftstellers“ in Mangalia am Schwarzen Meer (Beginn der verheerenden Kulturrevolution)

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