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Die Zigeunerin
proză [ ]
von Constantinescu Gabriel [GabiC
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de [Delagiarmata ]

2013-04-26  | [Acest text ar trebui citit în deutsch]  

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Es war nach Mitternacht und ich beeilte mich zu Fuß nach Hause zu kommen, nach einem langen Tag, angenehm, aber anstrengend. Das Licht der Sterne war kaum wahrnehmbar durch den Staub und Rauch, der sich nach dem ausklingenden Tag gen Himmel erhob. Die Nachtstille hatte die Straßen umhüllt und die Unruhe hatte mir die letzte Hoffnung genommen, dass ich noch wie üblich die letzte Tramway bekomme. Ich schleppte mühsam durch die Herbstblätter eine Plastiktüte mit einem frischen Laib Brot und einer Dose mit Auberginensalat, die Mutter mir mit genauer Bestimmung gegeben hatte. In den Straßen fuhr ab und zu ein gelbes Taxi vorbei, ohne Kundschaft und ohne Pferde. Ich hätte gerne eins angehalten, um schneller nach Hause zu kommen, aber ich hatte keinen roten Heller. Ich beschritt perspektivisch meinen Lebensweg auf den asphaltierten Alleen meiner Jugend, die ich bis zum dem Elternhaus nahegelegendsten Lyzeum beschritt, oder zu den Plätzen voller Erinnerungen, die mir beschert waren. Ich bin in dem Stadtteil, in dem ich aufgewachsen bin, wo ich jeden Baum und jedes Loch kenne. Hier fühle ich mich wie ein Indianerhäuptling, dem nichts widerfahren kann, wo er doch alles kennt, was kreucht und fleucht. Hier kam ich auch vor 40 Jahren mit Vater vorbei auf dem Weg zu dem roten Bus mit Balg, der wöchentlich, mit mir auf dem begehrten vorderen Sitz zur Rechten des Chauffeurs, neben der mit braunem Leder überpolsterten Haube des klopfenden Motors, zum Wochenheim des Kinos auf dem Piața Izvor* raste. Vor einigen Jahren fuhren auf diesen Straßen noch von Pferden gezogene Zigeunerwagen, Tiere die mittlerweile nur zu Pferdestärken wurden, unter den metallisch gestrichenen Blechhauben der Getriebe. Der Dreck liegt nicht mehr auf dem Straßenpflaster, aber er schwebt fast unsichtbar und langfristig in der Luft und in unseren Eingeweiden.

Aus der Kühle der Nacht taucht vor mir eine kleine Zigeunerin auf, ein brünettes Häuflein, bunt bekleidet. Sie trug ein Kopftuch wie mein Kopfband mit Guns N’ Roses, das ich trage, um bei den Hard-Rock-Konzerten meine Glatze zu bedecken, ein verzweifelter Versuch, die Zeit zurückzudrehen. Ein farbiger und aufgeblasener Rock bedeckte ihre billigen, bräunlichen Plastikschlappen und die Füße ohne Strümpfe, während ein wie eine Schleuder gedehnter Pullover über dem einer Schwangeren ähnlichen Bauch fast an den Knöpfen zerplatzte. Ich beobachte sie aufmerksam und misstrauisch, um herauszufinden, welche wahre Absicht sie in dieser späten Nachtstunde verfolgt. Welche für sie profitable Schwachstelle würde sie wohl bei mir suchen? Vielleicht verlangt sie mir Geld, um mir aus der Hand zu lesen und dann damit wegzulaufen, wie ein Bekannter es erlebt hat; oder sie will mir einen gefälschten Ring andrehen oder ein nachgemachtes Kettchen aus einer minderwertigen Legierungen, die gut geschliffen wie pures Gold aussieht; oder vielleicht will sie mich in ein Zelt zwecks obszöner Aktivitäten gegen Bezahlung locken; oder sie will mir mit einer Hand in der Handfläche lesen, um mir mit der anderen die Taschen auszusuchen; oder noch wahrscheinlicher wird sie mir eine von anderen gestohlene Uhr oder ein Handy aufbinden. Argwöhnisch lasse ich meine Blicke schweifen, ob nicht aus den Büschen andere Gevattersleute auftauchen, die mich im Adamskostüm lassen und mir noch verärgert eine Tracht Prügel verabreichen, weil sie in meinen leeren Taschen oder in der Unterhose weder Geld noch Handys gefunden haben, wie es Onkelchen Emil in einem Bus in Rahova* ergangen ist, meinem zuverlässigen ehemaligen Mitarbeiter, der Schläge und Flüche von den Dieben einstecken musste, da er bei seinem Alter ohne Geld herumlaufe und wohl ein Leben lang unnötig gearbeitet habe, wenn er jetzt arm wie eine Kirchenmaus sei.

- Entschuldigen Sie, Herr, ich bin aus der Provinz. Könnten Sie mir bitte sagen, wie ich zum Nordbahnhof komme?

Mich unruhig umsehend, versicherte ich mich, dass sie allein ist. Meine Vorurteile hatten noch nicht überhand genommen und ich ging das Risiko ein, ihr zu antworten, aber auf ihre Lügenmärchen wartend, die sie mir bestimmt aufbinden werde, um mich um jeden Preis zu betrügen.

- Von hier und um diese Uhrzeit schaffst du es nur mit dem Taxi, oder wenn du zu Fuß gehst, machst du eine, zwei Stunden bis zum Bahnhof.
- Herr, ich kann nicht soweit zu Fuß gehen, weil ich krank bin, ich habe nichts gegessen und Geld fürs Taxi habe ich auch keins, und selbst wenn ich’s hätte, würde mich doch niemand ins Auto nehmen, antwortete sie mir, mit ihren schwarzen und stechenden, von diskret schwarz geschminkten Brauen umrahmten Augen, nach meinem Blick suchend.

Sie genauer betrachtend, bemerke ich den intelligenten Blick, aber maskiert von einer Angst, die ich nie bei einer Zigeunerin erwartet hätte, so dass ich sie mit dem gleichen angeborenen Misstrauen in ihren guten Willen frage:
- Aber was ist dir zugestoßen, was suchst du um diese Uhrzeit ohne ein Geld in Bukarest?
- Herr, ich war bei einer Verwandten, die in Militari* wohnt, aber ich habe sie nicht zu Hause angetroffen. Die Nacht hat mich auf der Straße eingeholt, so dass ich zum Bahnhof muss, um den Zug zu bekommen. Es fährt einer um vier Uhr, aber ich kann nicht so weit gehen, weil ich krank bin, ich wurde erst vor einem Monat an Gebärmutterkrebs operiert und die Doktors haben das alles aus mir herausgenommen, dass ich auch keine Kinder mehr machen kann. Darum habe ich auch diesen dicken Bauch, von der Krankheit, und wenn ich zu Fuß gehe, habe ich Angst, dass mich nicht jemand auf der Straße umbringt, denn die Menschen sind so schlecht geworden, es ist Nacht, ich bin weit weg von zuhause und du weißt nicht, wem du über den Weg läufst.

Ich begann ihr zu glauben und sie sogar zu bemitleiden, und ein Gefühl der Hilfsbereitschaft erwachte in meiner Seele, jenseits aller rassistischen oder interethnischen Wände, wie ein bis dahin eingeschlafener Überlebensinstinkt, obwohl das Unterbewusstsein mich vor der Gefahr zu schützen versuchte, die zu jeder Zeit aus dem Nichts auftauchen konnte, mich dort auf den vergessenen Alleen der Kindheit zurücklassend, in der Kühle eines neuen Winteranfangs, ärmer, einsamer und trauriger als jemals zuvor. Ich kämpfte innerlich mehr mit der eigenen Angst vor in der Vergangenheit oft erlebten Enttäuschungen, als mit der Furcht vor den konkreten Gefahren, die uns das Leben mit seinen Labyrinthen voller Unvorhersehbarkeiten beschert.

Ich erinnerte mich daran, dass ich immer, wenn ich mit Herzblut einen Versuch startete, schwere Schläge von unerwarteter Seite einstecken musste, von Verwandten oder Freunden; aber jetzt, wo ich vorbereitet und gehärtet für den fatalen Schlag war, ließ dieser starrsinnig auf sich warten.

Sie fuhr sich mit der Hand um den Hals, die feinen, schwarzen, leicht angegrauten Zöpfe zurechtrückend, und erzählte weiter.
- Ich verbrachte zwei Wochen im Krankenhaus mit meinem ebenfalls an Krebs erkrankten Neffen, ich bin ohne Geld geblieben und muss nach Hause. Ich bin aus dem Stamm der Kesselschmiede, wir machen Töpfe, Ibriks und Rakikessel aus Kupfer, damit befassen wir uns, sagte sie mir, mich mit ihren tiefen und dunklen Augen anschauend, als hätte sie in mich, einen unbekannten Rumänen, der sie nicht verstehen will oder keine Zeit dafür hat, alle ihre Überlebenshoffnungen auf dieser Welt gesetzt.
- Du sagtest, du hättest Hunger, schau, ich habe etwas Brot und Auberginensalat.

Ich nehme das Brot aus dem Beutel, breche es zur Hälfte, wie Großvater es tat, als er sein Feldbrot beim Mähen zu sich nahm, und tröpfle aus der Plastikschachtel auf das in zwei geteilte Brot vor ihren glasigen, hungrigen Fuchsaugen, den Salat mit einladendem Öl- und Zwiebelgeruch. Ich reiche ihr das Brot und stelle fest, dass ich in meinem Leben wenige so hungrige Menschen gesehen habe. Sie hat sofort begonnen, die ad hoc angefertigte Portion gierig zu verschlingen, als ob sie seit zwei Wochen kein Essen mehr gesehen hätte. Dann habe ich kapiert, dass sie keineswegs mit den Worten spielt und einer der vielen einfachen und unglücklichen Menschen ist, die versuchen, in einer undankbaren, ungerechten und feindlichen Welt zu überleben.

- Komm mit mir, sage ich zu ihr, wir müssen eine Lösung finden, ich werde dich ja nicht krank und verängstigt in der Kälte zurücklassen. Geld habe ich keins dabei, du brauchst so um die zehn Lei, um das Taxi zahlen zu können, und ich werde das Geld besorgen, komm mit mir.

Ich musste zurück zum Elternhaus, von wo ich eben aufgebrochen war, um von Mutter die zehn Lei auszuleihen.

Meine Worte vernehmend, leuchtete in ihren Augen ein Funke Hoffnung auf, obwohl eine Spur von Misstrauen in meine guten Absichten ihr Denken einzuschnüren begann, da sie wahrscheinlich meine gute Absicht und Selbstlosigkeit nicht verstand, Verhaltensweise eines feindlichen Rumänen, der vielleicht die Taten des Marschalls Antonescu* befürwortete, oder die Massenvernichtungspolitik der Nazis. Und so spielte sich in ihrem von soviel destruktiver Geschichte gebeutelten Geist ein unerbittlicher Kampf zwischen Hoffnung und Misstrauen ab. Sie war anscheinend mit einem so toleranten Verhalten seitens von Fremden nicht gewohnt, und mit dem, dank des frischen, mit köstlichen Auberginen bestrichenen Brotes, gestillten Hunger kehrte langsam ihre Angst vor mir zurück.

- Wie willst du auch, dass dich einer ins Taxi nimmt, wenn du dich so kleidest, warum ziehst du keine Kleider wie jeder normale Mensch an, und dann wirst du sehen, dass du keine Probleme mehr haben wirst.
- Aber mein Herr, wie soll ich mich kleiden, das geht nicht anders, denn das sind unsere Kleider, der Zigeuner, das ist unsere Zigeunertracht seit Ahnengedenken, so kleidete sich Mutter und Großmutter und so trage auch ich mich, denn so schreiben es unsere Zigeunergesetze vor.
- Hör einer an, was redest du da dauernd von Zigeunern, Ihr seid doch Roma.
- Ich weiß nicht, mein Herr, was du mit diesem Knurren von Rrrom meinst, wir sind Zigeuner und fertig, ich weiß das so von meinen Vorderen.

Verwundert ob ihres Respekts, ihrer Beharrlichkeit und Liebe für die Urvätersitte, begegneten wir wie beim Promenieren einer laut feiernden Gruppe Jugendlicher, die uns verachtende Blicke zuwarfen.
- Aber euer Gesetz, lässt das euch mit Rumänen verheiraten?
- Nein, das gestattet es nicht, denn es ist eine große Sünde, denken Sie nur, wie mir das stehen würde, mich mit Ihnen zu vermählen, wie würden wir denn nebeneinander aussehen? Da würden ja die Hühner lachen, du weiß, ich schwarz, du Rumäne im Anzug, ich Zigeunerin in bunten Röcken, du mit Schule und ich ohne. Jetzt bin ich 47 Jahre alt und mit diesen Krankheiten weiß ich nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt. Der Winter kommt, unsere Häuser stehen auf freiem Feld und es ist sehr schwer, denn auch bei uns haben wie bei den Rumänen einige viel und anderen fehlt das Nötigste, und jene, die haben, interessieren sich nicht um die Besitzlosen, und leben nur für sich; dass die Leute sagen, die Zigeuner helfen sich gegenseitig, ja, aber es ist nicht so. Sie benutzen sich gegenseitig, wenn Interessen im Spiel sind. Anders nicht. Unsere Reichen wollen alles nur für sich, genau wie unsere Rumänen.

Immer weiter redend schritten wir auf dem Boulevard bis zu der dunklen Allee, die zum Wohnblock meiner Mutter führte.
- Komm hier entlang, sage ich ihr, aber ihre instinktive Angst, einem merkwürdigen Fremden, der einer Zigeunerin helfen will, zu folgen, spürend, bleibe ich neben einem Baum stehen und sage ihr, sie möge auf mich warten, ich werde schnell zurück sein. Ihren traditionellen Rock schürzend, ließ sie sich auf dem trockenen Gras in der Nähe des Baumes nieder wie am Glutnest neben der Zigeunerhütte, über dem sich die Lämmer an den Feiertagen auf dem Spieß drehen.
- Ja, kommen Sie, denn ich warte.

Aus ihrer Stimme war herauszuhören, dass sie nicht wusste, was sie noch glauben sollte, aber ich denke nicht, dass sie noch auf meine Rückkehr hoffte. Ich kam zu Mutter, borgte mir mit knappen Erklärungen das Geld und kehrte zu dem Baum zurück, wo die Zigeunerin ungeduldig auf mich wartete.

- Hier, nimm dieses Geld, halte ein Taxi an und fahr in Gottes Namen zum Bahnhof. Gute Fahrt und Gesundheit!, sage ich zu ihr, froh eine unerwünschte Sorge los zu haben, die sich zu einem Mitternachtsstress zu entwickeln begann, ... eine Art, wer zum Teufel hat mich dazu gebracht, oder, Guten Abend hab ich dir gesagt, geerntet hab’ ich eine Last ...
- Herr, komm bitte mit mir, nimm das Geld, denn es nimmt mich keiner mit, wenn nicht du sprichst.
- Wie soll er dich nicht nehmen? Du hast Geld, bist sauber, nicht betrunken oder drogiert, und was wenn du Zigeunerin bist, wir sind in Europa und sie sind gesetzlich verpflichtet, dich mitzunehmen.
- Keiner nimmt mich, Herr, behalte das Geld und hilf mir, denn in diesem Land respektiert niemand die Gesetze.

Sie hatte recht, so dass ich mich wieder überzeugen ließ, schwer und argwöhnisch, ihr überhaupt helfen zu können. Wir sind gemeinsam zu einem Taxistand vor einem Bukarester Einkaufszentrum gegangen, und weil damals gerade eine Volkszählung durchgeführt wurde, fragte ich sie neugierig, ob sie sich und ihre Wohnung registrieren ließ...
- Was ist das, Volkszählung? Ich habe nichts geklaut und kann das nicht. Ich habe nicht einmal den Personalausweis mitgenommen, damit ihn mir niemand stiehlt.
- Aber eine Zugfahrkarte hast du?
- Habe ich nicht, aber dort werd’ ich schon sehen, nur zum Bahnhof soll ich kommen.

Am Taxistand warteten drei aufgereihte Taxis auf Kunden. Ich lege mir eine einfache Ansprechstrategie zurecht und öffne die Tür des letzten Wagens in der Reihe. Die Zigeunerin wartet abseits, in Deckung hinter einem Baum.
- Grüße Sie mit Respekt, ich habe ein Problem, ich muss jemand helfen, an den Bahnhof zu gelangen, schauen’s das Geld. Ich zahle voraus, bitte helfen Sie mir, denn es ist eine kranke und geplagte Frau, wenn sie auch eine Zigeunerin ist.

Der Fahrer sagt, es sei kein Problem, nimmt das Geld und bittet sie einzusteigen, damit er sie zum Bahnhof bringt. Erstaunt über die „Normalität“ der Situation und die sofort bejahende Antwort, öffne ich ihr erfreut die Tür. Sie steigt ein, mich mit schwarzen, durchdringenden, vor Dankbarkeit und Anerkennung tränenden Augen anschauend.

Als Kind hatte ich dauernd Schwierigkeiten mit den Zigeunern, aber erst jetzt realisiere ich, dass ich immer mit jenen zu tun hatte, die ihre Tradition und ihren Glauben verloren hatten, und so ganz entzivilisiert wurden, was bei dieser umherschweifenden Frau nicht der Fall war.

Ich weiß, dass ich nichts Besonderes vollbracht habe, aber ihr dankbarer Blick wird mir für lange Zeit ein Glücksgefühl bescheren, denn ich fühlte den Zauber des guten Gedankens, den sie immer für mich hegen wird. Oft ist es so leicht, glücklich zu sein.

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Ich war ziemlich weit vom Weg abgekommen und es war spät, müde wandelte ich durch die Straßen, hungrig und mittellos, und die letzte Tram war längst zurück ins Depot gefahren. Ich schlenderte heimwärts durch die gleichen verworrenen Straßen meines Heimatviertels, die sich mit meinen eigenen Lebensstraßen kreuzten, und die Erinnerungen übermannten mich. Fast ohne es zu bemerken, schritt ich am Wohnblock, in dem meine Geliebte vor Jahrzehnten wohnte, vorbei und die Dunkelheit wurde plötzlich lebendig wie in einem Kinosaal. Der Film läuft holographisch ab, mit der Fassade eines Wärmekraftwerks als Dekor, der Pilz aus Abfällen vor dem vierstöckigen Block, Gras und Staub vermischt im Licht der Straßenlaternen und derselbe verstaubte und besternte Himmel. Ich, um dreißig Jahre jünger, ging mit meiner Geliebten, uns an den Händen haltend, spazieren, unter den Blicken und dem Gekicher einer Gruppe Jugendlicher, die auf Händel aus waren. Sich mit der rechten Hand den Schlitz zuziehend, taucht aus dem Pilz ein mittelgroßer, brünetter Kerl in ordinären Kleidern auf, der mit erleichterter Blase und mit einem Grinsen in dem genussverzerrten Gesicht zu seinen Kumpanen zurückkehrte, hielt neben uns an und fragte, mit der anderen Hand in der Nase bohrend, nach unserem Befinden.
- Wo wohnt Ihr Schönen, wo wart Ihr...?

Ich versuche, ihm zu erklären, dass ihn das nichts angeht und er jedes Gesetz, selbst wenn es flegelhaft ist, überschreitet, wenn er ein Pärchen so grob angeht, aber ich kann nicht ausreden und schon bekomme ich blitzschnell und unerwartet einen rechten Uppercut, der mich den sandigen Staub des Asphalts kosten ließ. Das Individuum hatte überhaupt kein Gesetz. Ich erhole mich schnell und suche trunken nach dem Angreifer, der sich tief in die Bande zurückgezogen hatte, zwischen romanisierte Zigeuner und einige andere rumänische Tagediebe, die besoffen um die billigen Weinflaschen, schon leer, tanzten, lautstark brüllend, begleitet von einem riesigen Kassettenrekorder mit Batterien, aus dem grob orientalische Musik drang.

Jetzt, nach dreißig Jahren, schüttele ich den Kopf beim Zurückprojektieren der Erinnerung in jene verstaubten Zeiten, und passiere schnell das Fenster in der ersten Etage, gegen das ich SMS mit Steinchen oder Schneebällen schickte. Das Fenster ist das gleiche, ich erkenne es an einem Loch wie von einer Kugel herrührend, das ich mit einem etwas kraftvoller geschmissenen Stein verursacht hatte, ungeduldig, mich durch die rosa, immer vorgezogene Draperie schneller bemerkbar zu machen. Jetzt sind der Besitzer und die Draperie andere.

Je näher ich meinem Zuhause komme, je weiter gleite ich mit meinen Gedanken in die Vergangenheit. Ich gelange in die Nähe des Einkaufzentrums, wo ich in der Kindheit Brot kaufte, Sodawasser, Eis und Kuchen. Ein anderes Hologramm geht im Dunkel meines Geistes auf wie in einem Fotoapparat und wird automatisch auf die grüne Mosaikwand des Friseurladens projektiert, der wie durch ein Wunder nach vierzig Jahren noch immer in Betrieb ist. Auf dem abschüssigen Weg, bedeckt mit heißem Sommerstaub, sah man vergilbte Grasbüschel und Ameisenhaufen, bebend wie die verschlammten Vulkanaugen. Ich war ein Zwerg, von etwa einem Meter, geklammert an der Hand des Vaters. Die Tränen hatten auf meinem Antlitz einen Kanal gegraben, durch den dicken Staub unter den Lidern und auf den Wangen. Kurz zuvor hatte mich dort ein dunkelhäutiger Geselle, einer Duță*, viel größer an Alter und Umfang als ich, niedergeschlagen, weil ich mir die Taschen mit dem daheim bekommenen Geld für Brot und Eis nicht entleeren ließ. Ich suchte ihn mit den Blicken, um ihn Vater zu zeigen, der Einzige, fähig, mich zu verteidigen und Gerechtigkeit herzustellen. Der Kerl saß mit dem Rücken gegen uns wie eine Spinne hinter einem Baum, wahrscheinlich auf einen anderen Trottel wartend, der ihm ins Netz gehen sollte. Er hatte kleine, runde und abstehende Ohren, wie ein Trichter oder wie ein aufgerissenes Maul eines Raubfisches. Einen Zigeuner erkennst du auch an den Ohren, und Vater, der in Rahova groß wurde, hat schnell erkannt, mit wem er es zu tun hat, zog mit seiner Rechten den Jungen am linken Ohr hoch und fragte ihn :
- Wo wohnst du Esel? Komm zu deinem Vater, dass ich ihm sage, was sein Schlingel im Viertel so treibt.

Er schleppte ihn so, mit verzerrtem Gesicht, an einem Ohr, wie ein Fisch am Angel hängend, bis zur Tür des Appartements, hinter der sich ein tot besoffener Krethi-Plethi, sein Vater, mit dem man nicht reden konnte, versteckt hielt. Vater schob ihm seinen Sprössling mit Vorwürfen in die Arme und beeilte sich, das Treppenhaus des Blocks, in welchem der Kommunismus Zigeuner unter die Rumänen infiltriert hat, beide zerstäubend, ihre Sitten und Lebensarten beeinträchtigend, zu verlassen.

Dann erlosch das Hologramm langsam wie eine Mondfinsternis, während ich allein in der Dunkelheit am Versuchswohnblock vorbeiging, jetzt ohne Vater, der schon seit Längerem im Tumult der ewigen Jagdgründen verschwunden ist, himmlischer Aufruhr des unfassbaren hermeneutischen Geheimnisses.

Der gesamte Kommunismus war ein Versuch, aufgetaucht im jahrhundertealten Kampf zwischen Katholizismus und Orthodoxie, sprach ich zu mir selbst, zufrieden, dass die Orthodoxie auch dieses aus sozialer Sicht missratene Experiment überlebt hat, das aber als Schlange des Kampfes im Innern der Christenheit erfolgreich war. Müde, hungrig, erschöpft von den Erinnerungen und arm eilte ich durch die Nacht auf meinem unendlichem Heimweg. Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen ist, springe ich unachtsam auf die Straße, wie die Eidechse, direkt vor ein Taxi, das mit quietschenden Reifen einen Meter vor mir hält. Wie aus den vedischen Märchen entsteigt ihm ein dunkler Mann mit olivenfarbenem Indianergesicht, der mich mit Milde tadelt:
- Was machst du, Herr, warum schaust du nicht, wo du hintrittst, wenn ich dich zu Risotto gemacht hätte? ... Komm, steig ein, dass ich dich heimbringe, denn du bist müde. Wohnst du weit?
- Etwa zehn Minuten von hier, aber ich habe kein Geld, antworte ich ihm schläfrig, mein Missgeschick beklagend. Danke, dass du mich verschont hast, werfe ich ihm noch ein paar Worte zu, dankbar und erschrocken über das, was mir hätte widerfahren können.
- Komm, steig ein, Herr, ich fahr dich kostenlos, heute gibt die Firma einen aus, sagte er mir im Scherz, aber die Uhr stell ich ein, damit ich mir keine Reklamationen einhandle, denn um diese Uhrzeit haben wir Kontrollen auf der Strecke und wenn mich einer anhält, holt mich der Teufel, ich bleib ohne Kipfel, sagte er, das Lenkrad des gelben Autos taktvoll liebkosend.

Ich steige mit Misstrauen ein, mich der Obhut des wie aus dem märchenhaften Nichts aufgetauchten Mannes überlassend. Angestrahlt vom Scheinwerferlicht, das durch die Frontscheibe drang, funkelte einer seiner Zähne metallisch, während er sprach, den Kontrast zwischen Weiß und Schwarz verstärkend, als ein letztes materielles Zeugnis der Welt, aus der er kam. Ich rieb mir vor Müdigkeit die Augen, mich quälend um nicht einzuschlafen, aber zum Schluss bin ich doch eingenickt.

Das Auto, ausgestattete mit GPS, kannte den Nachhauseweg besser als ich. Nach einer Zeit hält es an, direkt vor dem Tor. Das Taxirgerät zeigte zehn Lei an, also genau die Summe, die ich dem Taxifahrer für die Fahrt zum Bahnhof gezahlt hatte. Ich stieg desorientiert in der geheimnisvollen Dämmerung zwischen Nacht und Tag aus, ihm dankend und ihm anerkennend in die schwarzen, durchdringenden Augen blickend, die mich mit Güte anschauten, wahrscheinlich den Zauber des guten Gedankens antizipierend, den ich immer für ihn hegen werde.

Es ist so leicht, jemand glücklich zu machen!

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Erläuterungen*
- Piața Izvor = Quellen-Platz
- Rahova = Stadtviertel in Bukarest
- Militari = Bukarester Stadtviertel
- Ion Victor Antonescu (1882 - 1946) = selbsternannter Marschall, rumänischer Staatschef von 1940 bis 1944, führte Rumänien als Verbündeter Hitlers in den 2. Weltkrieg
- Duță = Lesart: ț = tz; ă = Vokal zwischen a und e - wie e in laufen


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]

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